Du bist kreativ – und jetzt?
Herzlichen Glückwunsch, du bist kreativ! Wenn du das noch nicht so recht glauben kannst, lies gern hier noch einmal nach:
- Warum alle Menschen kreativ sind
- Warum nicht alle ihre Kreativität nutzen – und wie du dich trotzdem dafür entscheidest …
Hier geht es darum, wie du mit deiner Kreativität etwas anfängst: Wie du auf schöpferische Weise Ideen findest, Entscheidungen triffst und Lösungen schaffst.
Genauer: Wie du zielführend nach all dem fragst und dich für neue Inspiration öffnest. Und mit welchen drei „Musen-Killern“ du dich vielleicht auch davon abhältst.
Auch wenn ich dabei die Metapher der Muse bemühe: Es geht in diesem Text bewusst um Kreativität, nicht um Kultur. Nicht ums Malen oder Musikmachen, sondern darum, wie du deinen Beruf und deinen Alltag schöpferischer gestaltest.
Die Methode funktioniert aber natürlich auch für Songs und Texte, für Computerspiele, Comics und Choreographien, für Bilder, Filme, Modedesigns und Architektur – mehr dazu schon bald hier im Blog.
Die Muse bringt Ideen: Ein genialer Einfall nach dem anderen
Alles beginnt mit Ideen – und dieser Beitrag beginnt mit der Erkenntnis, dass du in jeder Minute viele davon hast. Das Wort „Einfall“ trifft es ganz gut:
Ständig fallen Gedanken in deine Wahrnehmung ein. Denn unser Geist reagiert wie ein Sportkommentator auf alles, was passiert – seien es körperliche Empfindungen, Gefühle oder andere Gedanken.
Viele dieser „Einfälle“ sind nicht neu, sondern Wiederholungen. Weil es weniger Kraft kostet, erneut über Dinge nachzudenken, die bereits vorgedacht wurden.
Aber ab und an passiert es dann doch: Ein völlig neuer Gedanke taucht auf. Plötzlich erscheint Bekanntes in neuem Licht. Was immer unmöglich schien, ist jetzt auf einmal machbar.
Alle bahnbrechenden Ideen sind so entstanden. Zum Beispiel die Programmiersprache zur Darstellung von Hypertext, wie du ihn hier liest. Der Bildschirm, auf dem du ihn liest, ebenso wie das Netz, das ihn übertragen hat. Und nicht zuletzt: Die Kulturtechnik des Lesens und Schreibens selbst.
Muse im Alltag: Kreativität im Kleinen
Zu diesen Geniestreichen kommen jede Menge banalere Ideen. Kreativität ist auch im Alltag gefragt. Zum Beispiel erinnert mich heute noch jede Reise an ein Detail, das mich in meiner Zeit als Manager lange gestört hat:
Ich war viel geschäftlich unterwegs und musste den Inhalt meines Kulturbeutels jedes Mal einzeln zusammensuchen und hinterher wieder auspacken. Wirklich kein großes Ding. Aber lästig.
Ist dir das Wort „musste“ aufgefallen? So hat es sich wirklich angefühlt: Wie eine unausweichliche, unangenehme Pflicht.
Allerdings nur, bis mir eines schönen Tages die Idee kam, alle Utensilien doppelt anzuschaffen: Eine Garnitur fürs Bad zuhause, eine für meinen Reisekulturbeutel. Seitdem wartet er fertig bestückt darauf, dass ich mich wieder auf den Weg mache.
Das verändert nicht den Lauf der Welt. Und ich bin ganz sicher auch nicht der erste, der das „erfunden“ hat. Aber immerhin:
Ich spare seit Jahren Zeit beim Packen. Ich „musste“ kein vergessenes Deo mehr in überteuerten Bahnhofs-Shops nachkaufen. Und ich „musste“ auch zuhause nie wieder auf Zahncreme verzichten, wenn mein Koffer mal am falschen Flughafen landete.
Erinnerst du dich an ein ähnliches Beispiel aus deiner Welt? Eine Idee, mit der du dein Leben oder das deiner Mitmenschen erleichtert oder verschönert hast? Einen life hack, der für dich inzwischen ganz selbstverständlich geworden ist, obwohl du früher dachtest, dass die Dinge nun mal so sein „müssen“?
Ich vermute: Wenn du dich das fragst, fällt dir auch etwas ein.
Musen-Killer Nr. 1: Was fällt dir ein?
Viele von uns haben allerdings verlernt, diese Frage unbefangen zu stellen. Dabei hast du doch als Kind sicher ganz begeistert und ohne Scham alle deine Ideen präsentiert. Was ist daraus geworden?
Vermutlich hast du Rückmeldungen bekommen. Vermutlich nicht nur begeisterte. So hast du mit der Zeit einen mehr oder weniger stark ausgeprägten Filter entwickelt – dein Wertesystem, deine innere Zensurbehörde.
Daran muss die Muse, die dich küssen soll, erst einmal vorbei. Und das ist ja erst einmal auch gut so, ähnlich wie beim Spam-Filter für deine E-Mails: Wenn du ihn ausschaltest, wirst du mit Werbung überflutet. Der Haken: Wenn du den Filter zu eng einstellst, dringen auch wichtige Infos nicht mehr zu dir durch.
Bei Ideen ist es genauso: du hast dann Scheuklappen auf und siehst nur noch was du „musst“ oder darfst, nicht mehr was darüber hinaus möglich ist.
So steckt auch in der vorwurfsvollen rhetorischen Frage „Was fällt dir eigentlich ein?“ die Erwartung, dass dir gefälligst nicht alles einfallen darf. Nicht jede Idee ist erwünscht, nicht jeder Musenkuss gestattet.
So bleibt die optimal passende, aber leider unkonventionelle Idee vielleicht im Filter hängen. Deshalb setzen viele Kreativitäts-Techniken darauf, deine Selbstzensur zumindest zeitweise zu umgehen. Dann sind alle Einfälle erlaubt – bewertet und aussortiert wird später.
Die hinduistische Methode Prai-Barshana, auf die das moderne Brainstorming zurückgeht, lässt sich als ebendiese Aufforderung übersetzen: „Prai“ bedeutet „Öffnung“, „aus dem Innern heraus“ oder „außerhalb von dir selbst“. „Barshana“ bedeutet „Frage“.
Statt deine Einfälle abzuwerten heißt es also: „Öffne dich der Frage“. Oder sehr frei: „Trete einen Schritt zurück, damit aus Deinem Inneren eine Antwort kommen kann.“
Darin liegen gleich zwei Hinweise zur Ideenfindung: Erstens hat Kreativität etwas mit Öffnung zu tun – dazu gleich mehr. Zweitens ist es hilfreich, eine konkrete Frage zu stellen, statt einfach nur drauf los zu „gehirnstürmen“.
Entscheidungen treffen: Viele Ideen, nur ein Körper
Wenn du gute Fragen stellst und in Ruhe nach Antworten lauschst, bekommst du in der Regel ein paar gute Ideen zusammen. Damit endet die Kreativität aber nicht: Schöpferisch sein heißt umsetzen, nicht nur ausdenken.
Dafür darfst du erst einmal entscheiden, welche deiner Ideen du wirklich realisieren willst. Denn so grenzenlos dein Einfallsreichtum auch sein mag, in der Praxis gibt es Grenzen für das, was du angehen kannst:
Zwar hat der Mensch zwei Beine, doch kann er nur einen Weg gehen (Sprichwort aus Westafrika)
Es geht also darum, aus allen Wegen die du nehmen könntest den einen auszuwählen, den du wirklich gehst. Vielen Menschen ist das sehr unangenehm. Weil uns dieser Prozess Grenzen aufzeigt. Und weil uns das an unsere Endlichkeit erinnert.
Es wird allerdings noch unangenehmer, wenn du der Entscheidung ausweichst. Denn auf die Illusion, alles schaffen zu können was du dir so ausgedacht hast, folgt ganz sicher eine Desillusionierung.
Statt dich auf diese Weise selbst zu ent-täuschen ist es sinnvoller, dich zu ent-scheiden: deine „Geschiedenheit“ zu beenden, diesen von deiner Kraft getrennten, hin und her gerissenen Zustand. Indem du die besten Ideen herausgreifst.
Und ja, das bedeutet, dass du dafür andere, ebenfalls gute Ideen aufgibst oder zumindest verschiebst:
Innovation bedeutet, zu 1.000 Dingen nein zu sagen.
(Steve Jobs)
Musen-Killer Nr. 2: Was nimmst du dir heraus?
Auch bei diesem Entscheidungsprozess gibt es Grenzen. Nicht jede Wahl „darf“ wirklich getroffen werden. Und auch hier ist wieder die Frage: Wie eng ist dein Filter?
Es gibt zunächst einmal objektive Kriterien: Was gültige Gesetze verbieten solltest du nicht auswählen, wenn du keinen Ärger mit der Polizei willst.
Andere Kriterien hängen von deinen persönlichen Werten ab. Und von denen der Gesellschaft, in der du lebst: Ist es dir zum Beispiel wichtig, deine Eltern nicht zu enttäuschen – sogar um den Preis, lieber dich selbst zu enttäuschen?
Auch bei der Entscheidungsfindung hilft deine Kreativität. du kannst erneut die Muse einladen – mithilfe der Doppeltechnik, die du oben kennengelernt hast:
- Eine konkrete Frage stellen: Welche Kriterien sind dir für deine Entscheidung wichtig und wie gewichtest du sie?
- Dich den Antworten öffnen und erst einmal ganz verschiedene Entscheidungsmöglichkeiten kreieren, bevor du eine davon auswählst
Lösungen schaffen: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es
Wenn du dich für eine Idee entschieden hast, geht es ans Umsetzen. du weißt wohin du willst und machst dich auf den Weg.
Und dann passiert vielleicht, was oft passiert: Irgendetwas läuft anders als du dachtest. Weil die Landkarte nicht dasselbe ist wie das Territorium. Weil es einen Unterschied gibt zwischen Vorstellen und Herstellen.
Und schon ist wieder Kreativität gefragt: Wie schaffst du es, das Unvorhergesehene zu bewältigen? Wie kannst du damit umgehen?
Musen-Killer Nr. 3: Wie kannst du nur?
Auch wenn es ums Handeln geht, greift innere Zensur: Unterbewusst filterst du Handlungsweisen, die dir unmöglich, unmoralisch oder anderweitig unsinnig erscheinen. Statt dir ganz neutral die Frage zu stellen, wie du die Situation lösen kannst, bedenkst du innerlich mit, wie erlaubt diese Lösungen wohl wären.
Dazu kommt ein weiterer, rein physiologischer Filter: Wenn du voll in Aktion bist und unter Stress stehst, gewinnt dein Stammhirn die Oberhand. Dann stehen dir nur noch die drei elementaren Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung: Angreifen, Flüchten oder Totstellen.
Das hat seinen Sinn: Wenn du bei einer tödlichen Bedrohung erst über deine Optionen nachdenken würdest, hättest du schnell keine mehr. In unserer vergleichsweise sicheren Welt gilt allerdings auch: Bedrohungen fühlen sich oft gefährlicher an, als sie sind.
Wenn du das erkennst und sichergestellt hast, dass kein Tornado, keine Giftschlange, kein Meuchelmörder in der Nähe ist, kannst du dich auf die Suche nach angemessenen Handlungen machen. Nach Wegen, wie du nicht nur akut auf ein Problem reagieren, sondern es nachhaltig lösen kannst.
Dabei hilft wieder Fragen und Öffnen: Was genau ist eigentlich das Problem – und wie müsste eine gute Lösung beschaffen sein? Was ist das beste, das du jetzt und hier, unter den gegebenen Umständen dafür tun kannst?
Wenn du diesen Fragen Raum gibst und nicht gleich die erstbeste Antwort akzeptierst, wirst du Lösungsmöglichkeiten finden. Vielleicht kommen dabei einige durch deinen Filter, die dir nicht gefallen. Vielleicht aber auch die eine unkonventionelle Handlung, die den Unterschied ausmacht.
Muse und Müssen
Du kannst also die Muse einladen, dich auf allen drei Ebenen – Ideen, Entscheidungen, Lösungen – zu unterstützen.
Wichtig dabei: Musen werden zu Recht als zarte und gleichzeitig machtvolle Wesen dargestellt. Sie repräsentieren einerseits feinfühligere Anteile in dir selbst. Andererseits gelten sie als Botinnen einer überpersönlichen, übernatürlichen schöpferischen Kraft, aus der alles entsteht.
Ob du dafür das Wort „Gott“ verwenden möchtest oder nicht, klar ist: Inspiration lässt sich aus solchen Sphären nicht herbeizwingen. Wenn du neue Inspiration möchtest kann es also helfen, die Muse nicht zu irritieren. Und zwar weder mit unklaren Aufträgen noch mit Druck: viel „Muss“ bedeutet wenig Muse.
Hilfreicher ist es, dir bewusst zu machen welches Arbeitsumfeld so eine Muse braucht, um sich wohlzufühlen und dir gute Impulse liefern zu können.
Das wäre erstens eine möglichst konkrete Frage, zu der du eine Antwort suchst. Und es lohnt sich, diese Frage sorgsam zu formulieren, weil sie dein Denken lenkt:
Wenn du zum Beispiel danach fragst, warum du „immer solche Schwierigkeiten“ hast, wirst du auch darauf kreative Antworten finden. Sie tragen nur leider nicht dazu bei, deine Schwierigkeiten zu bewältigen.
Zielführender wäre, zu fragen was du tun kannst. Oder auch, wie du dich eigentlich fühlen möchtest. Mit den Antworten, die dir auf solche Fragen einfallen, kannst du anschließend auch etwas anfangen.
Zweitens braucht die empfindsame Muse Raum, um dir Antworten zu schenken. Vorbei an allen Zensurschranken Deines bisherigen Denkens.
Denn echte Inspiration kramt nicht nur in den Schubladen Deines Geistes nach einer bekannten Lösung für ein unbekanntes Problem. Sie fügt etwas fundamental Neues hinzu, von dem niemand so recht sagen kann, woher es kommt:
Aus dem Nichts, aus Gott, aus dem Universum, aus Deinem höheren Selbst oder deinem Unterbewussten, aus purem Zufall oder mit Otto Scharmer aus der „emerging future“ – wie immer du das nennst, es liefert dir oft mehr, als du in dir selbst finden kannst. Wenn du es denn lässt.
Muse und Küssen
Deshalb ist das Öffnen mindestens so wichtig wie die richtige Fragestellung. Echte Inspiration ist wie ein echter Kuss: Etwas, bei dem Druck nichts zu suchen hat. Ein Geschenk das du nur bekommst und nur genießen kannst, wenn du dich ihm hingibst.
Wenn du oft inspiriert, oft geküsst werden möchtest, lohnt es sich also, die Beziehung zu deiner Muse zu pflegen (und zwar vollkommen unabhängig davon, ob du an übernatürliche Wesen glaubst oder sie nur als Metapher siehst):
- Immer häufiger konkrete, lösungsorientierte Fragen zu stellen, statt nur darauf zu hoffen, dass sich Inspiration irgendwie einstellt
- Dich immer häufiger vertrauensvoll in ein ungelöstes Problem hinein zu entspannen, statt krampfhaft Antworten zu suchen
- Und so immer häufiger die Erfahrung zu machen, dass aus genau dieser Mischung aus zielgerichtetem Forschen und gelassenem, entspanntem Öffnen Lösungen wachsen, die vorher ganz und gar unmöglich schienen
Deine Muse und du
Zum Abschluss einige Impulse für deine Reflexion:
- Auf einer Skala von 0 bis 10: Wie leicht fällt es Dir, gute Ideen zu entwickeln? Wie leicht, gute Entscheidungen zu treffen? Und wie leicht, diese Entscheidungen auch umzusetzen?
- Auf welcher dieser drei Etappen wünschst du dir am ehesten eine Verbesserung?
- Welche Fragen kannst du dir stellen, um Inspiration für diese Veränderung zu bekommen?
- Was kannst du dafür tun, deine innere Zensurbehörde zeitweise abzuschalten und dich neuen Antworten zu öffnen? Und was kannst du dafür lassen?
- Fallen dir Beispiele ein, in denen du die Technik „Fragen und Öffnen“ so oder so ähnlich schon mit Erfolg genutzt hast?
Nutze diese Fragen einfach zum Selbstcoaching. Und beobachte mal: Ob sich die Kussbereitschaft deiner Muse wohl verändert?