Alle sind kreativ – viele haben Angst davor
Neulich ging es hier im Creative Change Blog um die Wurzel deiner Kreativität: Die Einsicht, dass alle Menschen schöpferische Wesen sind – nicht nur die vermeintlich “Kreativen”.
Viele nutzen dieses Potenzial aber gar nicht. Sicher kennst du auch Menschen, die lieber Opfer ihrer beruflichen wie privaten Umstände bleiben, als sie schöpferisch zu gestalten. Vielleicht ging oder geht es dir auch so?
Du wärst damit nicht allein. Bildlich gesprochen: Viele von uns sehen sich lieber wie die Kicker:innen an der Stange eines Tischfussballspiels, als selbst den Ball zu führen. Mit sicherem Halt aber wenig eigenem Spielraum. Von äußeren Kräften abhängig.
Heute geht es darum, warum das so ist und wie du es verändern kannst, wenn du diese Strukturen auch bei dir beobachtest.
Du Opfer: Schaden und Spott
Beginnen wir damit, dass “du Opfer” sich zum beliebten Schimpfwort entwickelt hat. Darin spiegelt sich eine Verachtung von Schwäche, die es natürlich auch früher schon gab, bei “Weichei”, “Waschlappen”, “Warmduscher”, “Loser”, “Memme”, “Hasenfuß”, etc. Lauter Begriffe, die zum Abwerten von Menschen dienen.
Meist ging es dabei um Männer, die einem gewissen Ideal von Härte nicht entsprechen. Neu bei “du Opfer” ist, dass es sich auf alle Geschlechter beziehen kann und dass nicht nur eine Haltung beschrieben wird, sondern auch ihr Ergebnis:
Wenn du Schwäche zeigst und dich “wie ein Opfer” verhältst, kommst du auch leichter unter die Räder. Das Etikett “Opfer” sorgt dafür, dass du es auch für eine ganze Weile bleibst – es stigmatisiert dich und hält dich klein. Ganz nach dem Motto:
Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.
Außerhalb von Schulhöfen wird der Begriff vielleicht nicht so offen ausgesprochen. Aber die Mechanismen sind ähnlich. Sei es bei betrieblichem Mobbing, in Castingshows oder auf dem Hühnerhof: Wo es Hackordnungen gibt, wird auch auf jemandem herumgehackt.
Das funktioniert auch, weil wenig darüber gesprochen wird. In die Nachrichten schafft man es als Opfer erst bei ernsthaften Verletzungen oder gar Todesfällen. Vermutlich möchtest du spätestens jetzt kein Opfer mehr sein – wer will das schon?
Wie man Opfer wird – und es bleibt
Interessanter Weise können wir uns in der Opferrolle aber auch einrichten. Geiseln entwickeln Verständnis für ihre Entführer:innen, Misshandelte bleiben bei ihren “Partner:innen”. Und so viele Menschen verbringen den Großteil ihres Lebens mit einem Job, den sie hassen. Und im Stau auf dem Weg dorthin.
“Erlernte Hilflosigkeit” nennt das die positive Psychologie: Eine resignative Grundhaltung, die aus früheren Erfahrungen von Machtlosigkeit schlussfolgert, dass Veränderung auch heute unmöglich ist.
Wir alle machen diese frühen Erfahrungen von “Ohn-Macht”: Denn natürlich hast du als neugeborenes oder auch als neunjähriges Kind wenig Einfluss. Du kannst der Situation in die du hineingeboren bist nicht entkommen, ob es nun Krieg und Hunger sind oder “nur” eine durchschnittlich dysfunktionale Familie.
Wenn du oft genug die schmerzhafte Erfahrung machst, dass deine Kraft nicht reicht um etwas zu verändern, kommt du vielleicht an den Punkt, an dem du es gar nicht mehr versuchst. Du arrangierst dich damit, dass “es halt so ist”.
Das heißt ausdrücklich nicht, dass Opfer “selbst schuld” sind – ein beliebter, aber auch sehr schmerzhafter Fehlschluss. Für Taten verantwortlich sind immer die Täter:innen. Auch dann, wenn sie selbst früher einmal Opfer waren. Das mag für sie persönlich tragisch sein, aber ihre Opfer können nichts dafür.
Nicht so paradox wie es klingt: In der Opferrolle in Sicherheit
Darin liegt allerdings auch die Verlockung der Opferrolle: Sie entbindet dich von der Verantwortung und gibt dir stattdessen Sicherheit und moralische Überlegenheit. Denn du kannst in ihr ja “leider” nichts ändern. Und schuld sind zum Glück die anderen.
Vielleicht kannst du dich sogar darin sonnen, dass du “all das” für diese anderen oder für höhere Werte tust: Dass du dich im verhassten Job aufopferst um deine Familie zu ernähren. Oder auf deine berufliche oder künstlerische Selbstverwirklichung verzichtest, um deinen Liebsten rechtzeitig Abendessen kochen zu können.
Hingebungsvoll für ein höheres Ziel zu leiden ist die heroische Seite des Opferdaseins.
Es kann aber auch ganz ohne Heldenmut sein, dass es dir trotz aller Belastung unterm Strich Entlastung bringt, Opfer zu bleiben. Denn Leiden und Lamentieren kostet zwar Kraft. Aber es sichert auch Beistand und Mitgefühl.
Opfer bleiben, um nicht Täter zu werden
Wenn du dabei nicht bleiben, sondern stattdessen lieber etwas verändern willst, wird dir vielleicht mit Misstrauen begegnet. Manchmal auch mit Sabotage oder offenem Boykott. Weil du mit deinem Handeln die etablierte (Hack-) Ordnung störst.
Dazu kommt eine psychologische Barriere: Wenn du nicht mehr Opfer bist, also “mit dir machen lässt”, wirst du ja selbst die Person, die macht und tut. Du wirst Täter:in.
Das ist gerade für Gewaltopfer eine furchtbare Vorstellung, die ja wissen wie schrecklich sich anfühlt, was ihnen angetan wurde. Jemand der so etwas tut, möchte man nicht sein, noch nicht mal ansatzweise.
Mit einer Star Wars-Metapher: Wenn du nur die “dunkle Seite der Macht” kennst, das bösartige, willkürliche und zerstörerische Ausnutzen einer Überlegenheit, kurz: eine Welt voller Angst – dann hast du auch nur die Wahl, Angst zu erleben (Opfer) oder Angst zu verbreiten (Täter:in).
Wenn du nicht Täter:in sein willst, um dich nicht mit dem Bösen gemein zu machen, fehlt dir der Gestaltungsspielraum. Du kannst dich eigentlich nur wegducken und hoffen, dass es dich nicht erwischt: erlernte Hilflosigkeit in Reinkultur.
Die Ambivalenz der „Krieger:innen des Lichts“
Nun gibt es ja in der Saga auch noch eine helle Seite. Auch in ihrem Namen wird Macht ausgeübt. Nur eben nicht zur Verbreitung von Angst und Schrecken, sondern für Gerechtigkeit, Liebe, Mitgefühl und eine besser Welt.
Allerdings: Kämpfen für den Frieden – ist das nicht in sich schon widersprüchlich? Auch im Namen solcher hehren Ideale wurden schließlich schon viele Grausamkeiten angerichtet.
Darin liegt deine Schwierigkeit als Täter:in: Du kannst dem Dilemma nicht ausweichen, sondern musst entscheiden, wie du mit ihm umgehst. Und egal was du tust, danach musst du mit den Konsequenzen deines eigenen Tuns leben.
Du bist dann wirklich “selbst schuld”, mindestens selbst verantwortlich. Weil du nicht mehr nur die Folgen der Handlungen anderer erleidest, sondern selbst zur Ursache dessen wirst, was (er)folgt.
Für einige von uns ist das eine so erschreckende Vorstellung, dass wir – bewusst oder unbewusst – doch lieber Opfer bleiben. Täter:in sein ist unattraktiv.
Kreativität als Ausweg
Der Vorteil am Begriff “Schöpfer:in” ist, dass diese negativen Assoziationen nicht mitschwingen. Der Fokus liegt nicht wie bei “Täter:innen” auf Machtausübung und dem, was du anderen dadurch vielleicht auch “antust”. Sondern auf Kreativität, auf Gestaltung. Und spirituell gesehen auch auf der Anbindung an eine höhere Schöpferkraft – an eine Quelle, aus der du schöpfst.
Gleichzeitig bringt der Begriff dich in die Aktivität. Raus aus dem passiven “was soll ich bloß tun?”, das sich Rettung durch Antworten von außen erhofft und sich bis zu ihrem eventuellen Eintreffen “er-schöpft” fühlt.
Rein in eine “was tue ich als nächstes?”-Haltung, die auf die Fragen des Lebens selbstverantwortlich immer neue Antworten (er-)findet. Und die dir dadurch ermöglicht, dich als kraftvoll, autonom und wirksam zu erleben.
Ein kleines Gedankenexperiment dazu: Stell dir einmal vor – wie wäre es, wenn du tatsächlich deine ganze Welt und alles was dir begegnet selbst geschaffen hättest?
Spirituell lässt sich das mit der altindischen Vedanta-Lehre begründen oder mit dem moderneren, christlich geprägten “Kurs in Wundern”. Vielleicht bist du ja im vollumfassenden Sinne Schöpfer:in deiner Welt? Die Frage “warum tue ich mir das bloß an” bekäme dann eine ganz neue Bedeutung …
Ganz ohne Esoterik-Verdacht zeigen uns Neurobiologie und Psychologie, dass du vielleicht nicht die ganze Welt, aber zumindest deine Wahrnehmung dieser Welt ständig selbst erschaffst.
Du bist also längst schöpferisch tätig. Selbst wenn du dir seit Jahren erzählst, dass du “unkreativ” bist oder dass “deine Kreativität einfach nicht gewürdigt wird”, kreierst du schon mit dieser Erzählung etwas – und zwar dein Weltbild.
Weltanschauungen und ihre Folgen
Der Unterschied zwischen Wahrheit und Wahrnehmung ist der zwischen Objektivität und Subjektivität: Was du aufgrund deines Weltbilds für die Wahrheit hältst, kann nur deine eigene, ganz persönliche Wahrnehmung sein (und die derjenigen, die es ähnlich sehen wie du).
Bedeutung ist also nichts, was du vorfindest. Du selbst stellst sie her, indem du deutest, was du wahrnimmst. Dabei ist der Begriff “Wahr-Nehmung” sehr treffend: Du siehst nicht, was da ist, sondern nimmst das heraus, was du zu sehen gelernt hast. Deine Weltanschauung bestimmt, wie du die Welt anschaust.
Was nicht zu ihr passt, nimmst du auch nicht als wahr an. Es sind für dich schlicht “fake news” – zumindest solange, bis du aus welchen Gründen auch immer bereit für einen anderen Blickwinkel bist:
Solange du die Welt aus Opfer-Sicht anschaust kannst du nur sehen, wie schlimm etwas ist, wie wenig du daran ändern kannst und wie gemein diejenigen sind, die das zu verantworten haben, etc. Und sicher findest du auch gute Gründe für diese Wahrnehmung. Weil dein Geist danach sucht und alle Informationen entsprechend filtert.
Erst wenn du die Perspektive wechselst, kannst du auch fragen: Ist mir das wirklich nur “zugestoßen”? Wenn nicht, welchen Anteil habe ich selbst daran? Einmal angenommen ich hätte es sogar selbst so gewählt – welchen Sinn könnte ich der Situation dann geben, wofür wäre sie gut?
So verschiebst du deinen Fokus von “was machen die nur mit mir” zu “was mache ich daraus”. Vom Verharren im Opferdasein zum schöpferischen Umgang mit dem, was nun einmal so ist wie es ist.
Du gehst den allerersten Schritt hin zu einer möglichen Veränderung: Sie überhaupt für möglich zu halten. Statt nur zu beklagen, wie “unmöglich” alles ist.
Andere Haltung – andere Erfolgsaussichten
Wann nimmst du eine leidende, wann eine schöpferische Haltung ein? Das mitzubekommen setzt eine gewisse Bewusstheit voraus: die Fähigkeit, solche Situationen vielleicht schon währenddessen oder spätestens im Nachgang zu reflektieren.
Außerdem brauchst du die Bereitschaft, auch unangenehme Gefühle zu deinen eigenen Gefühlen zu machen. Und nicht zu etwas, das die “angetan wird”, sei es von jemand anderem, einer Krankheit oder auch dem “Schicksal”.
Das ist unbequem. Aber es erhöht auch deine Erfolgsaussichten und eröffnet dir sogar die Möglichkeit, scheinbar unerträgliche Situationen zu bewältigen. Der KZ-Überlebende Viktor Frankl hat das eindrücklich beschrieben:
Diejenigen, die dieser Hölle einen Sinn geben konnten, hatten bessere Chancen, sie zu überleben. Weil sie sich nicht mehr nur als Opfer wahrnahmen. Dadurch waren sie zwar nicht gegen Grausamkeiten, aber immerhin gegen Verzweiflung gewappnet.
Sicher ein extremes Beispiel – und gerade deshalb ein sehr kraftvolles!
Schöpferische Arbeit beginnt mit “es werde Licht”
Schöpferisch sein bedeutet also, der “dunklen Seite”, egal wie bösartig sie dich beutelt, ein inneres Licht entgegenzusetzen. Das ist zwar keine Garantie auf Rettung. Aber es lässt dich klarer sehen, welche Möglichkeiten du hast und wie du aus ihnen schöpfen kannst.
Es zeigt dir wieder Farben, wo vorher nur Schatten waren.
Auch darum geht es oft im Coaching: Zu schauen, wie du dir selbst mehr Licht und mehr Einsicht schenken kannst, statt dich zum Opfer deiner dunklen Ahnungen und Gedanken zu machen. Denn dieses “Lichten des Dunkels” ist Grundvoraussetzung fürs kreativ erfolgreich Sein:
Erst wenn du dich nicht mehr als Opfer wahrnimmst kannst du überhaupt sehen, welche Chancen deine Situation bietet. Und sie ergreifen, so klein sie auch sein mögen.
Vielleicht bleibt der Weg beschwerlich. Das änderst du allerdings nicht, indem du es beklagst. Sondern nur indem du den bestmöglichen nächsten Schritt machst, von dort aus, wo du gerade bist.
Hier einige Impulse für deinen Perspektivwechsel, um solche Schritte vorzubereiten:
- Worüber klagst du im Moment – was steht Deinem Erfolg aktuell im Weg?
- Wenn du einmal probehalber annimmst, dass du selbst dieses Hindernis aufgestellt hättest: Wofür könnte das gut gewesen sein? Inwiefern kannst du vielleicht gerade daran wachsen, was kannst du daraus lernen, welchen Sinn kannst du ihm geben?
- Tut es dir gut, dich über die Situation zu beklagen? Wenn ja, bis zu welchem Punkt ist es wirklich eine Entlastung – und ab wann würde es zur Belastung?
- Mal ganz unabhängig davon, ob es dir realistisch erscheint oder nicht: Wie hättest du die Situation denn gerne? Welche Verbesserung würde dich entscheidend voranbringen? Wie möchtest du dich fühlen?
- Welche Wege fallen dir ein, zunächst etwas Kraft zu sammeln, bevor du nach einer Lösung suchst? Siehst du nach dieser Kräftigung andere Lösungswege als vorher?
- Welchen ersten Schritt kannst du jetzt sofort gehen, um dich zumindest ein winziges Stück in die Richtung deiner gewünschten Verbesserung zu bewegen?
Nutze diese Fragen gerne zum Selbstcoaching. Welche neuen Wege bahnst du damit – in deinem Denken oder im Außen?